VON DEM UNSICHTBAREN IM LICHT – WIE DER SURVIVORSHIP BIAS UNSER BILD VOM ERFOLG IN DEM KONZERTLICHTDESIGN VERZERRT
Wer große Produktionen betreut, auf Tourneen präsent ist, Interviews gibt, sich in den sozialen Medien professionell in Szene setzt oder mit Produzentenmarken kooperiert, wird oft als erfolgreich wahrgenommen. Doch nach welchen Kriterien wird dieses Bild geprägt und wer taucht nie darin auf?
Der Survivalship Bias ist eine kognitive Fehleinschätzung, die in der Statistik ebenso verbreitet ist wie in der alltäglichen Wahrnehmung von Erfolg. Er entsteht, wenn wir nur die Fälle betrachten, die ein bestimmtes Auswahlverfahren überlebt haben – und daraus dann Schlüsse auf die Gesamtheit ziehen. Dabei vergessen wir dann gerne diejenigen, die dieses Verfahren nicht überlebt haben – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.
Ein klassisches Beispiel: Der Mathematiker Abraham Wald analysierte die Einschusslöcher in Flugzeugen im Zweiten Weltkrieg. Die logische Schlussfolgerung: Dort, wo sich die Einschläge befinden, sollte die Panzerung verstärkt werden. Wald räumte jedoch den Denkfehler ein: Diese Flugzeuge hatten überlebt – die Einschläge an diesen Stellen waren also nicht entscheidend. Die wirklich gefährlichen Einschläge befanden sich an Stellen, an denen keine zu sehen waren – weil Flugzeuge, die an diesen Stellen getroffen wurden, nicht zurückkehrten. Das ist genau die Logik des Survivalship Bias: Wir analysieren, was sichtbar ist – und ziehen daraus falsche Schlüsse über den Erfolg, die Qualität oder die Ursache. Und genau das passiert in den einflussreichen Segmenten der Veranstaltungsbranche.
Formate wie die „Lichtgespräche“ tragen aktiv zu diesem verzerrten Bild bei. Meist kommen dort Lichtgestalter zu Wort, die bereits etabliert sind – und im Idealfall mit den etablierten Produkten der Scheinwerferhersteller arbeiten. So wird der Erfolg nicht nur personalisiert, sondern auch direkt mit der Bindung an eine Marke verbunden. Dies ist nicht nur inhaltlich fragwürdig, sondern trennt die Tätigkeit des Lichtdesigns von seiner eigentlichen kreativen, sozialen und technischen Verantwortung.
Besonders problematisch wird es, wenn in Nachwuchsprogrammen Erfolgsgeschichten und Produktbezüge vermischt werden – mit dem Ergebnis, dass bestimmte Sichtweisen systematisch gestärkt, andere aber nie sichtbar gemacht werden. Dass in manchen Förderprogrammen technisches Grundwissen – zum / Beispiel der sichere Umgang mit Geräten und die Einhaltung von Sicherheitsabständen – nicht immer ausreichend vermittelt wird, wurde in einem Webinar im Rahmen des Workspace Lichtbaukunst des isdv e.V. anhand konkreter Produktionsbeispiele durchgerechnet. Solche Fälle verweisen auf strukturelle Herausforderungen im Bereich der pädagogischen Verantwortung und der Führung innerhalb der Nachwuchsförderung.
Außerdem findet Kritik kaum in der Öffentlichkeit statt. Beim ESC beispielsweise – einer der medial sichtbarsten Produktionen überhaupt – fehlt jede öffentliche Diskussion über ökologische Aspekte, über den Energieeinsatz, über technische Sicherheitsfragen. Diese Abwesenheit von Debatte gleicht einer Bühne, auf der zwar die Kulissen ständig wechseln, die eigentlichen Spielregeln jedoch unsichtbar bleiben. Wer nicht genau hinsieht, bemerkt kaum, dass sich an den Macht- und Deutungsstrukturen wenig ändert. Wer mitmacht, hält sich zurück, wer außen steht, kritisiert nur im Flüsterton. Denn wer laut wird, riskiert, gar nicht oder künftig nicht mehr gefragt zu werden.
Vereinzelte Versuche, das übliche Narrativ umzukehren – etwa indem in öffentlichen Formaten bewusst über Misserfolge statt über Erfolge berichtet wird – haben bislang nur wenig Resonanz gefunden. Solche Perspektiven passen oft nicht in das Medienformat, das auf Hochglanz und Vorzeigbarkeit ausgelegt ist. In der Logik des Survivalship Bias scheinen sie schlichtweg nicht vorgesehen zu sein.
Auch in der Wissenschaft gibt es ein vergleichbares Phänomen: In der Regel werden nur Arbeiten veröffentlicht, deren Hypothesen sich bestätigen. Studien mit nicht eindeutigen Ergebnissen bleiben im Verborgenen – nicht weil sie irrelevant sind, sondern weil das System Sichtbarkeit an Erfolg koppelt. Auch hier wirkt der Survivalship Bias: Er blendet aus, was nicht passt, und stärkt, was sich in das bestehende Bild einfügt.
Auch dieser Text steckt in einem Dilemma: Einerseits kritisiert er das Schweigen in der Branche, die Vermeidung von Kritik und die Konditionierung auf Konformismus. Andererseits bleibt er selbst in der Andeutung, verzichtet auf vollständige Namen, vermeidet klare Zuordnungen. Dies geschieht nicht aus Opportunismus – sondern aus dem Wunsch heraus, systemische Probleme sichtbar zu machen, ohne die Individuen bloßzustellen. Kritik an Strukturen ist oft nur dann wirksam, wenn sie nicht die Personen, sondern die Muster angreift.
Auch hier läuft die Analyse Gefahr, Strukturen zu verallgemeinern, wo eigentlich differenziert werden müsste. Aber gerade deshalb lohnt es sich, die Mechanismen sichtbar zu machen, ohne jeden Akteur über einen Kamm zu scheren. Gerade dort, wo die Machtverhältnisse diffus sind und die Verantwortung geteilt wird, braucht es eine Sprache, die differenziert – und nicht skandalisiert.
Ein alternatives Verständnis von Erfolg im Lichtdesign sollte mehr auf Inhalte als auf Sichtbarkeit setzen. Erfolg stellt sich dort ein, wo das Design sinnstiftend wird – sei es durch eine klare konzeptionelle Idee, eine präzise technische Umsetzung, soziale Verantwortung innerhalb des Teams oder einen überlegten Einsatz von Ressourcen. Sichtbarkeit kann dabei ein Ergebnis sein – und nicht der Ersatz dafür.
Anstatt den Erfolg ausschließlich an Reichweite, Produktionsgröße oder Markenbindung zu knüpfen, sollte alternativen Indikatoren mehr Bedeutung beigemessen werden: zum Beispiel der Fähigkeit, ein Team zu führen, sicher zu planen, technische Risiken zu erkennen, kreative Verantwortung zu übernehmen – oder mit begrenzten Mitteln kreative Lösungen zu finden.
Nachhaltigkeit, soziale Sensibilität und die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion gehören ebenfalls zu den Qualitäten, die ein im besten Sinne des Wortes professionelles Lichtdesign ausmachen – unabhängig davon, ob es auf der Titelseite einer Fachzeitschrift erscheint oder nicht. Im Beruf des Lichtschaffenden geht es nicht nur um Kreativität. Um in einer Crew zu funktionieren, auf engem Raum zu leben und Verantwortung zu übernehmen, braucht man Führungsqualitäten, Charakter und soziale Intelligenz. Dennoch wird nichts davon überprüft. Es gibt keine Prüfung der Teamfähigkeit. In keinem Interview wird nach ungelösten Konflikten gefragt. Ausbildungsformate fördern oft genau das Gegenteil: Anpassung, Produktwissen, Systemnähe. Wer dazugehören will, muss sich einfügen – in die Regeln, in die Rücksichtnahme, in das gemeinsame Zusammenleben. Das klingt nach Gemeinschaft, bedeutet aber oft: schweigen, tolerieren, funktionieren. Die Fähigkeit zu kritischem Denken wird so nicht belohnt, sondern als störend empfunden.
Ein Berufsverband wäre eigentlich prädestiniert, solche blinden Flecken offen zu thematisieren. Er vereint Fachleute mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen – auch jenseits der medialen Aufmerksamkeit. Dennoch bleibt seine Positionierung oftmals diskret. Vielleicht aus diplomatischer Vorsicht, aus strategischen Erwägungen oder weil man selbst zu jenen Strukturen gehört, die eine kritische Reflexion erfordern.
In der Welt der Veranstaltungsproduktion gibt es viele kreative Rollen, von der Bühnengestaltung über die Medienkunst bis hin zur Tongestaltung. Die berufliche Realität von Lichtschaffenden unterscheidet sich jedoch in vielerlei Hinsicht deutlich von anderen kreativen Bereichen. Während Bühnenbildner und Regisseure institutionell in den Theaterbetrieb eingebunden sind, oft mit akademischer Ausbildung, fester Projektstruktur und klarer Autonomie, bewegen sich Lichtschaffende in der Regel in einem hybriden Feld zwischen Technik und Kunst – oft als Freiberufler, ohne institutionellen Schutz und mit hohem Erwartungsdruck innerhalb ihrer Industrie.
In kaum einem anderen kreativen Berufsfeld ist die Nähe zur Produktwelt so dominant und vielfältig wie im Lichtdesign. Viele Lichtschaffende müssen sich nicht nur mit gestalterischen Fragen auseinandersetzen, sondern auch mit der Auswahl von Geräten, der Integration von Systemen und produktbezogenen Spezifikationen. Diese Nähe zur Technik wird oft als Vorteil verkauft – in Wirklichkeit verwischt sie jedoch die Grenzen zwischen künstlerischer Autonomie und wirtschaftlicher Abhängigkeit.
Im Vergleich zu Medienkünstler*innen , die frei arbeiten, installativ denken und oft bewusst aus kommerziellen Rahmen ausbrechen, stehen Lichtprofis auf Tourneen und bei Großproduktionen unter enormem Druck, effizient, sicher, flexibel und im Rahmen eines Kompromisses mit dem System zu funktionieren.
Bisher wurden diese strukturellen Unterschiede in den Diskussionen über Berufsbilder kaum thematisiert. Dabei wäre genau dieser Vergleich notwendig, um zu verstehen, was Lichtgestaltung heute bedeutet – und welche fachlichen und persönlichen Kompetenzen sie tatsächlich benötigt. Lichtschaffende arbeiten oft unter prekären Arbeitsbedingungen, aber gleichzeitig in einem System, das sich als technologisch fortschrittlich und kreativ inszeniert.
Großproduktionen wie Stadiontourneen, Festivals oder medienwirksame Fernsehformate folgen einer klaren Hierarchie: Ganz oben steht das Management der Künstler, gefolgt von der Produktionsleitung, der technischen Leitung, den Gewerken – und innerhalb dieser das Lichtdesign.
Die kreative Autonomie hängt stark vom Budget, dem Vertrauen der Produktion und der Bereitschaft ab, ein kreatives Risiko einzugehen. Wer sichtbar ist, hat oft schon viele Hürden überwunden – wer scheitert, verschwindet meist leise.
Auch die stille Rollenverschiebung innerhalb der Branche ist ein nicht zu unterschätzender Einflussfaktor: In den letzten Jahren beobachten wir immer häufiger, dass Personen, die ursprünglich kaum Sichtbarkeit oder kreative Relevanz im Berufsfeld hatten, nun als Markenbotschafter oder Industrievertreter auftreten – meist unter dem Deckmantel der professionellen Neutralität. Dabei handelt es sich keineswegs um die erfolgreichsten oder Wegweisendsten Lichtschaffenden, sondern oft um solche, die nie eine richtige Bühne erhalten haben – und deren neue Rolle nun wieder eine Orientierung ermöglicht, obwohl ihre eigener Berufserfolg bisher eher marginal war.
Diese Industrievertreter wirken nach außen hin unabhängig, doch sie beteiligen sich aktiv an der inhaltlichen Gestaltung von Förderprogrammen, Schulungen oder Berufsverbänden – oft in Zusammenarbeit mit Personen, die ebenfalls wenig praktische Erfahrung mit Lichtdesign haben. Wenn sich zwei pseudoneutrale Systeme – Industrie und Verband – inhaltlich zusammenschließen, entsteht ein doppelter Filter: eine Ausbildungsstruktur, die von denen geformt wird, die sich nie gestalterisch hervorgetan haben, nun aber Normen und Modelle festlegen. Dies ist nicht nur eine Frage der Verantwortung – sondern auch der Legitimität.
Diese Verflechtung von Industrie und verbandlicher Arbeit erzeugt nicht nur eine inhaltliche Schieflage in der Berufsbildungsdebatte, sondern wirkt auch in die Öffentlichkeit hinein. Wo maßgebliche Akteure Teil enger Beziehungsgeflechte sind, verschiebt sich, was überhaupt erzählt wird – und wie.
Marktnahe Publikationen der Fachpresse sind ein wichtiger Verstärker des verzerrten Bildes von Erfolg. In Deutschland sind sie stark von der Industrie abhängig – nicht nur finanziell durch Anzeigen, sondern auch ideell durch eine inhaltliche Erwartungshaltung: Hochglanzproduktionen, große Markenkooperationen, spektakuläre technische Effekte. Kleine Produktionen oder kritische Perspektiven haben in diesem System kaum eine Chance – sie erhalten selten ein Echo, da sie weder Reichweite noch Werbebudget mitbringen.
Ein großer Teil der Fachpresse ist daher nicht unabhängig, sondern konditioniert. Sie liefert ein Hochglanzbild, das in erster Linie auf Sichtbarkeit, Größe und Innovationsrhetorik beruht – und nicht auf kreativer Tiefe oder kritischer Debatte. Dabei wäre es gerade die Aufgabe einer freien Fachpublikation, Widersprüche, Konflikte oder diskrete Stimmen sichtbar zu machen. Doch selbst wenn die etablierten Fachmedien versuchen, eine tiefergehende Reflexion anzustellen, bleibt die Tiefe oftmals begrenzt. Die strukturelle Nähe zur Industrie, zu den Protagonisten der Szene oder zu ihrer eigenen wirtschaftlichen Basis – sei es durch Werbeeinnahmen oder Klickzahlen – lässt kaum Raum für unabhängige Kritik. Die Grenzen zwischen journalistischer Analyse und Branchenmarketing sind fließend.
Diese inhaltliche Vorselektion in der Fachpresse findet ihr digitales Echo in den sozialen Medien. Auch dort prägen nicht zwingend die relevantesten Beiträge den Diskurs, sondern jene, die sich am besten ins bestehende Bild fügen – oder es in unterhaltsamer Form bestätigen.
In den sozialen Medien ist ein ähnliches Muster zu beobachten, wenn auch in anderer Form. Viele Beiträge aus dem Umfeld der Veranstaltungsbranche – insbesondere im Bereich der Lichtgestaltung – folgen einem eher unterhaltsamen und raubeinigen Ton. Es wird berichtet, kommentiert und ironisiert. Eine echte metareflexive Auseinandersetzung über das Berufsfeld, seine Dynamiken, Widersprüche oder Machtstrukturen bleibt jedoch die Ausnahme. Wer reflektiert, verliert an Sichtbarkeit. Wer lustig unterhält, bleibt im Spiel.
Das Bedürfnis, die eigene Präsenz zu inszenieren und nach außen hin ein stabiles Selbstbild zu vermitteln, überwiegt oft den Wunsch, konkrete Probleme objektiv anzugehen. Aus soziologischer Sicht folgt dieses Verhalten einer Logik des symbolischen Kapitals: Sichtbarkeit, Anerkennung und Zugehörigkeit werden zu einer Währung, die mehr zählt als der direkte berufliche Austausch. Digitale Räume, die ursprünglich als Orte des kollektiven Wissensaufbaus konzipiert waren, verwandeln sich so in Bühnen, auf denen Selbstdarstellung dominiert. Dieser Mechanismus verstärkt bereits bestehende Sichtbarkeits- hierarchien und trägt dazu bei, kritische oder lösungsorientierte Beiträge in einer Flut von selbstreferenziellen Inhalten untergehen zu lassen.
Dabei handelt es sich nicht um eine individuelle Schwäche, sondern um den Ausdruck eines Systems, das Selbstreflexion nicht belohnt – sondern eher marginalisiert. In einer Branche, die von der Sichtbarkeit lebt, ist für Reflexion kaum Platz. Und selbst diejenigen, die es wagen, laufen Gefahr, sich in der Schnelllebigkeit der Plattformen zu verlieren.
Genau hier setzt das vom ZentrumNeueLichtkultur geplante Festival „BeatsandButtons“ an. Als Plattform für junge Lichtschaffende und Klangkünstler*innen konzipiert, soll es ihnen die Möglichkeit geben, ihr erstes öffentliches „Ping“ zu senden. Im Gegensatz zu etablierten Formaten geht es hier nicht um Marken, Reichweite oder Image, sondern um künstlerische Entfaltung, Vielfalt, Experimentierfreude und Stimme.
Das Rahmenprogramm des Festivals soll gezielt Inhalte transportieren, die in der Fachöffentlichkeit noch nicht angekommen sind: Die Bedingungen für den Berufseinstieg, das Verhältnis von Sichtbarkeit und Gestaltung, der Einfluss der Technik auf die Kunst – und die strukturellen Gründe, warum viele Stimmen in diesem Bereich gar nicht erst gehört werden. Diese inhaltliche Ausrichtung ist kein Zufall – sondern Ausdruck eines institutionellen Selbstverständnisses. Das ZentrumNeueLichtkultur ist bislang die einzige Institution in Deutschland, die solche Perspektiven unabhängig entwickeln und veröffentlichen kann. Es gibt keine wirtschaftliche Verflechtung mit der Industrie, keine Abhängigkeit von Werbekunden und keine taktische Rücksichtnahme auf die Marktteilnehmer.
Diese Autonomie ist die Grundlage für eine reflektierte, kritische und zugleich konstruktive Sicht auf das Berufsfeld. So entsteht ein Raum, der über die bloße Dokumentation hinausgeht. Ein Raum, in dem Fragen gestellt werden können, die anderswo nicht gestellt werden – und in dem künstlerische und soziale Positionen nebeneinander existieren können. Nicht als Provokation, sondern als notwendige Erweiterung des Diskurses.
Eine strukturelle Herausforderung ergibt sich, wenn Berufsverbände eng mit Industrieunternehmen zusammenarbeiten. Dies wird besonders spürbar, wenn es zu personellen Überschneidungen kommt – zum Beispiel in Arbeitsgruppen zur Entwicklung der Berufsbildung. Wenn Vertreter von unternehmensnahen Förderprogrammen solche Prozesse maßgeblich steuern, kann dies Fragen nach der Unabhängigkeit, der beruflichen Verankerung und der Qualität der Ausbildungsidee aufwerfen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass solche Arbeitsgruppen von Personen geleitet werden, die selbst keinen direkten beruflichen Hintergrund in der praktischen Lichtgestaltung oder verwandten Tätigkeitsbereichen haben. Dies wirft Fragen zur inhaltlichen Tiefe und praktischen Ausrichtung solcher Entwicklungen auf – insbesondere wenn es darum geht, daraus Empfehlungen für die Berufsausbildung und Professionalisierung abzuleiten.
Diese enge Verbindung zwischen kommerziellen Akteuren und berufspolitischer Gestaltung ist nicht unbedingt illegitim – sie muss aber benannt und kritisch eingeordnet werden. Wenn dieselben Akteure, die sich in der Industrie nicht durchsetzen konnten, durch Förderprogramme und Berufsverbände zu scheinbar neutralen Vertretern werden, verschwimmen die Rollen und Interessen. Was als Fachwissen erscheint, ist manchmal der Wunsch nach Sichtbarkeit in neuem Gewand. Gerade wenn solche Figuren zusätzlich in Gremien mitwirken, die offizielle Bildungsprozesse oder Diskussionen über die Berufsbildung prägen, ergibt sich ein irritierendes Bild: Der Einfluss wächst – obwohl der fachliche Bezug kaum nachvollziehbar ist. Was dabei herauskommt, ist eine komplexe Mischung aus biografischem Ehrgeiz, institutioneller Repräsentation und struktureller Intransparenz.
Wenn Berufsverbände die Notwendigkeit eines Berufsprofils geltend machen, ohne zuvor den tatsächlichen Bedarf in großem Maßstab bewertet zu haben, beispielsweise mittels einer groß angelegten Kohortenanalyse, ist es Aufgabe eines Dachverbands, die darin formulierten Definitionen kritisch zu prüfen. Andernfalls besteht die große Gefahr, dass die Partikularinteressen einer kleinen einflussreichen Gruppe unverhältnismäßig an Bedeutung gewinnen. In solchen Fällen sollte man sich nicht zurückhalten, sondern aktiv handeln, um die Instrumentalisierung der eigenen Strukturen zu verhindern.
Die geplante Berufsbildungsinitiative „Lichtbaukunst-Stellwerker“ (kurz LBK-Stellwerker), die vom ZentrumNeueLichtkultur initiiert und in Zusammenarbeit mit einem Dachverband entwickelt werden soll, steht im Gegensatz zu derartigen Entwicklungen. Die Initiative versteht sich nicht als statische Definition eines Berufsprofils, sondern als ein Lernsystem, das auf Datensammlung und kritischer Analyse beruht – und gezielt den Survivalship Bias berücksichtigt.
Die LBK-Stellwerker-Initiative fragt nicht, wer bereits sichtbar ist, sondern: Wer wurde noch nicht gehört? Welche Erfahrungen fehlen? Welche Perspektiven müssen ergänzt werden, um Lichtgestaltung realitätsnah, vielseitig und zukunftsweisend auszubilden ?
Neben inhaltlichen Fragen steht auch die organisatorische Offenheit im Vordergrund: Anstatt sich darauf zu beschränken, Normen innerhalb des eigenen Umfelds festzulegen, sollte gezielt die Zusammenarbeit mit Experten aus Disziplinen wie Soziologie, Pädagogik, Organisationsentwicklung und Führung gesucht werden. Dadurch könnte eine Ausbildung geschaffen werden, die nicht nur technische Kompetenzen vermittelt, sondern auch soziale und zwischenmenschliche Kompetenzen stärkt und so die Lichtgestaltung als Teil eines größeren kulturellen Bildungsraums betrachtet.
In diesem Zusammenhang wäre es sinnvoll, Ausbildungsprogramme nicht nur auf Einzelfälle oder bereits erfolgreiche Karrierewege zu stützen, sondern auf systematisch erhobene und breit angelegte Datengrundlagen. Nur so lässt sich ein realistisches Bild der tatsächlichen Bedürfnisse und der verfügbaren Kompetenzen gewinnen. Auf das Lichtdesign angewendet bedeutet dies, dass die geplanten Schulungsangebote nicht nur bestehende Erfolgsgeschichten reproduzieren, sondern sich an den tatsächlichen Anforderungen, Herausforderungen und Potenzialen des Berufsfeldes orientieren sollten.
Es geht nicht nur um Inhalte, sondern auch um eine strukturelle Öffnung: weg von einer reinen Selbstdefinition durch die Szene hin zu einem interdisziplinären Dialog. Die Initiative bezieht auch gezielt Experten aus anderen Bereichen wie Soziologie, Pädagogik, Organisationsentwicklung oder Leadership mit ein. Denn die Ausbildung von Lichtschaffenden sollte nicht allein aus der Branche heraus gedacht werden, sondern muss als ein komplexes, in der Gesellschaft verankertes Bildungsfeld verstanden werden.
Darüber hinaus verfolgt die Initiative eine langfristige Perspektive. Es geht nicht um eine schnelle Umsetzung, sondern um ein Berufsverständnis, das über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg Bestand haben wird. Sie basiert nicht auf Anekdoten oder Medienbildern, sondern auf systematisch erhobenen Daten. Die Initiative will erstmals erfassen, welche realen Arbeitsbedingungen herrschen, welche Kompetenzen gebraucht werden – und welche Missstände bestehen. Anstatt Erfolg mit Sichtbarkeit zu verbinden, zielt diese Initiative darauf ab, Gestaltung mit Haltung, Teamfähigkeit, Führungskultur und Reflexionsfähigkeit zu verbinden. Sie erkennt an, dass ein relevantes Verständnis für die berufliche Bildung nur entstehen kann, wenn auch diejenigen befragt werden, die scheitern, aufgeben oder sich neu orientieren. Nur so lässt sich verstehen, was der Beruf wirklich erfordert und was ihn lebbar macht.
Eine aufgeklärte Gesellschaft muss bereit sein, auch das Scheitern sichtbar zu machen. Die Soziologie weiß seit langem, wie sehr Systeme dazu neigen, Abweichungen zu verdrängen. Aber im Veranstaltungsbereich werden nicht nur Misserfolge verschleiert, sondern auch die Einfachheit. Es gibt keine strukturierte Datenerfassung über die Anzahl der bei Veranstaltungen eingesetzten Scheinwerfer, Systeme oder Stromaggregate.
Es gibt keine branchenspezifischen Überlegungen zum Verhältnis zwischen Quantität und gestalterischer Notwendigkeit. Und es gibt keine systematische Analyse des tatsächlichen Energieverbrauchs, beispielsweise von mobilen Dieselgeneratoren, die aus Redundanzgründen oft doppelt vorhanden sein müssen.
Warum ist das so? Liegt es an Desinteresse? An mangelnder Einschätzung der Relevanz? Oder liegt es – und das ist eine zynische, aber legitime Überlegung – daran, dass man so einer unbequemen Wahrheit ausweichen kann: dass der Erfolg in diesem Bereich oft nur auf zwei Faktoren beruht – Quantität und technologische Aktualität.
Wer über eine ausreichende Anzahl von Geräten verfügt und das neueste Equipment nutzt, gilt als kompetent, modern und sichtbar. Eine detaillierte Datenerhebung würde vielleicht zeigen, wie banal viele Entscheidungen im Bereich der Lichtgestaltung tatsächlich sind. Dass viele Produktionen eher das Ergebnis einer materiellen Schlacht sind und weniger aus einem gestalterischen Entwurf entstehen. Und dass dies in der Branche nicht als Widerspruch, sondern als Norm empfunden wird. Vielleicht wird deshalb nicht gemessen. Vielleicht ist das Schweigen über das Einfache Teil des Systems.
Auch im Umgang mit Öffentlichkeit zeigt sich diese Ambivalenz. In sozialen Medien dominieren humorvolle, raue oder unterhaltsame Töne – oft oberflächlich, selten reflektiert. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Berufsalltag, seinen Widersprüchen oder seinem Veränderungsbedarf findet kaum statt. Und wenn sie doch einmal gelingt – etwa in Fachbeiträgen oder Artikeln – bleibt sie häufig an der Oberfläche. Denn auch hier wirken Mechanismen der Abhängigkeit: von Klickzahlen, von Industriepartnerschaften, von der Angst, sich durch zu viel Kritik selbst aus dem Spiel zu nehmen.
Das ZentrumNeueLichtkultur zeichnet sich durch eine im Veranstaltungsbereich seltene Unabhängigkeit aus. Ohne Verbindungen zu Herstellern, Sponsoren oder institutionellen Kunden kann es eine Debatte führen, die sich nicht an der Logik des Marktes orientiert.
Diese Freiheit ermöglicht es ihm, die Entwicklungen in der Branche mit großer analytischer Tiefe zu beobachten und Themen zu behandeln, die anderswo vernachlässigt werden. Anstelle von geselligem Networking setzt die Institution von Lichtschaffenden auf langfristige Wissensvermittlung, kritisches Denken und die Verbindung zwischen künstlerischer Praxis und sozialer Verantwortung.
Eine ernsthafte Weiterbildungskultur sollte genau hier ansetzen. Sie sollte nicht nur die Erfolgreichen befragen, sondern auch die Übersehenen. Sie sollte Strukturen analysieren, Motivationen aufdecken und Gestaltung wieder an Inhalt binden – nicht an Inventar. Nur dann wird die Lichtgestaltung zu einem Berufsfeld mit Substanz und nicht nur mit Leuchtkraft.
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